„Die Comics – Alle!“ von Seyfried und Ziska
(2007 bei Zweitausendeins) Humor/Science Fiction
Der frühere Star des deutschen Undergroundcomics, Gerhard Seyfried ist wohl zweifellos als Klassiker anerkannt, nun erhält er auch eine würdige Ausgabe seines Comicschaffens. Mit seiner Einbettung in die gelungene Rahmengeschichte „Der Fluch der Nipponziege“, in der eine Galeristin nach Seyfried und Ziska-Originalen suchend das gesamte Werk der beiden durchstreift, ist der gewaltige Hardcoverband äußerst originell strukturiert.
Die Klassiker „Wo soll das alles enden“, „Invasion aus dem Alltag“, „Das schwarze Imperium“, „Flucht aus Berlin“ und „Let the bad times roll“ sind von wechselnder Qualität, teilweise natürlich etwas naiv links, aber dennoch höchst amüsant.
Gerade „Flucht aus Berlin“ wird immer zu meinen absoluten Lieblingscomics gehören, nicht nur, da er durch früher Rezeption bei mir enorm nostalgisch verklärt ist, sondern auch, weil er mit bösen Sowjets, in der Kanalisation lebenden Altnazis, bunuelschem Wechsel zwischen Traum und Realität, herkömmlichem Politwitz und sogar atomaren Mutanten einfach vollgepfropft ist mit schrägen Ideen und guten Gags. Das finstere Russland, in dem allenorts Wölfe heulen und dem ärmsten Comiczeichner der Welt eine Bleistifteinkaufsgenehmigung verweigert wird, nachdem sein altes Zeichenwerkzeug von den Ratten gefressen wurde, wird für mich immer ein Highlight in der Comicgeschichte bleiben.
Danach folgt jedoch ein eher dunkles Zeitalter… die Zusammenarbeit Seyfrieds mit seiner Lebensgefährtin Ziska Riemann wirkt für mich nicht wirklich überzeugend.
„Future Subjunkies“ und „Space Bastards“ sind von der Kritik wohl recht gelobte und ach so psychedelische SF-Comics, aber der überwiegende Eindruck war doch „Gewollt und nicht gekonnt“. Bloß wenig Text, bloß viele Metamorphosen und seltsame Technikszenen, bloß nix erklären und möglichst dreckig und blutig.
Zweifellos sind da ein paar gute Ideen bei, wie die Chemikalien, mit denen die Leute ihr Gefühlsleben regulieren (so nehmen sie vor dem Sex verschiedene Dosen, je nachdem ob sie eine harmlose oder harte Nummer schieben wollen), aber weder hat der Comic wirklich etwas zu sagen, noch ist er stilistisch so faszinierend, dass er den (nüchternen) Verstand ebenfalls psychedelisch stimmen kann.
Und dass Seyfried Mitglied der „Church of Subgenius“ ist, ist natürlich generell recht sympathisch, in diesen Bänden übertreibt er es jedoch mit der Allgegenwart von „Bob“.
Schlimmer wird alles mit dem Ziska-Solo-Band „Rascal & Lucille“, welcher ein totaler Schlag ins Wasser ist. Zeichnerisch so mies, dass selbst ich mich für besser halte. Zugegeben – Ziska ist besser, was Anatomie und Perspektive angeht, aber es mangelt ihren Strich einfach an jeglichem Charme, Ausdruck oder Leben und ihre Figuren bleiben starr und platt.
Das Hauptproblem ist aber das belanglose und absolut inhaltslose Writing. Viele Stories laufen einfach so ins Leere, weder auf eine Handlung, noch auf eine Pointe hin und man fragt sich einfach, was man als Leser davon haben soll. Selbst wenn sie sich nicht nur für eine Pointe entscheidet, sondern diese auch mal gar nicht schlecht, oder zumindest als solche erkennbar ist, schafft sie es, sie totzuquatschen, oder nicht rechtzeitig aufzuhören.
Ein Beispiel:
Lucille: „Ich hab gelesen, man kann sich jetzt die Verwandten ausstopfen, wenn sie tot sind!“
Rascal: „Igitt, stell dir vor, da sitzt deine Oma für immer in deinem Wohnzimmer!“
Lucille: „Oder dein Mann liegt für immer neben dir im Bett. Nackt und steif!“
– Würde man hier aufhören, währe es noch immer kein Riesengag, aber zumindest wäre erkennbar, worauf man hinauswollte, aber nein! Es geht weiter:
Rascal: „Hihi! Vielleicht auch nur die wichtigsten Teile!“
Lucille: „Is gar keine schlechte Idee, so macht er keinen Ärger,…“
Rascal: „…kann nicht davonlaufen,“
Lucille: „Und steht immer zur Verfügung!“
Auf dem letzten Bild darf sich der Leser noch anbiedernd von der Sprecherin anzwinkern lassen und sollte froh sein, dass keine Fußnote die Sache mit dem Stehen vorsichtshalber noch mal ausführlich erklärt.
Dazu kommt, wie schon dieses Beispiel zeigt dass das nach „Sex and the City“ verbreitete Übel, plump primitives Sexgerede als ach so pfiffig zu verkaufen, nur weil es von Frauen ausgeht, ebenfalls einer der Mängel dieses bemüht schmutzigen und möchtegernverwegenen Werkes ist.
Der nachfolgende gemeinsame Comic „Starship Eden“ versöhnt dann wieder einigermaßen, da er eher Seyfrieds Handschrift (und Optik sowieso) trägt und trotz einigem, verdächtig ernst gemeint klingendem Anarchiezeugs doch recht witzig ist. So erfährt man z. B. wie sich Superreiche gegenseitig beleidigen – sie unterstellen einander, schon mal Steuern gezahlt zu haben.
Die abschließende Mischung aus Kurzcomics beider Künstler ist recht durchwachsen, Seyfrieds Sachen sind dabei wieder recht amüsant, Ziskas leider wieder absolut bisslos.
Trotz besagter Durststrecken ein wunderschön anzusehender, fast siebenhundertseitiger Band mit einigen wahren Perlen. Jedem, der deutschen Underground mag, der sich nicht zwingend nur auf Tittenbilder und gezwungene US-Parodien beschränkt, nur zu empfehlen.
(Dirk M. Jürgens)
“Lollipop Monster” | Weird Fiction
11. September 2012 @ 11:38
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