„Der Mönch“ von Matthew Gregory Lewis
(1796. Dt. Ausgabe/Area-Verlag) Horror
Obwohl Horace Walpoles, bereits 1764 erschienener Roman „The Castle of Otranto“ (meines Erachtens todlangweilig), als Begründer des Gothic Horror Genres gilt, ist der dreißig Jahre später geschriebene „Mönch” nicht weniger wegweisend. Der sehr sympathische Area-Verlag (dem ich viele Horrorklassiker verdanke) hat ihn nun in einer gebundenen Ausgabe im Doppelpack mit E. T. A. Hoffmanns „Die Elixiere des Teufels“ herausgebracht, so dass ich mich selbst von seinen Qualitäten überzeugen konnte – denn vieles, was gestern gruselig war, wirkt heute nur noch langweilig.
Denn egal, wie einflussreich es ist, bei einem Werk des 18. Jahrhunderts ist, die Wahrscheinlichkeit, dass es mit heutigen Lesegewohnheiten vereinbar ist, doch eher gering, weshalb ich umso überraschter war, wie fesselnd sich die Geschichte erwies.
Gewiss – dass Lewis seinen Helden öfters verlässt, um uns die Liebesgeschichten einiger Adeliger zu erzählen und dabei lange Exkurse über deren Lebensgeschichten einflicht, stört den Erzählfluss ziemlich. Auch kam ich mit der großen Anzahl an adeligen Nebenfiguren des öfteren etwas durcheinander, es sei aber gesagt, dass auch diese Elemente für sich durchaus interessant waren, nur eben von der Haupthandlung ablenkten.
Diese entschädigte dafür aber für alle Strapazen: Der Roman erzählt die Geschichte des Mönchs Ambrosius, der sein Kloster noch nie verlassen hat, darum nie in Versuchung geführt wurde und so dem Hochmut verfällt, der edelste und makelloseste aller Menschen zu sein. Den lässlichen Sünden die er bei er Beichte erfährt, begegnet er voller Verachtung und ohne jedes Nachsehen. So vergisst er mit der Zeit die christlichen Werte zugunsten starrer kirchlicher Richtlinien, betrachtet Gnade als Schwäche und seine eigene Mitleidlosigkeit als Tugend. Als von unerwarteter Seite dann eines Tages doch die Versuchung in Form eines weiblichen Groupies seiner Predigten an ihn herantritt, weiß er ihr nichts entgegenzusetzen und gerät in einen Strudel immer abscheulicherer Verbrechen, bis er sich im Kerker der Inquisition schließlich mit Leib und Seele dem Leibhaftigen verschreibt, um bald darauf ein furchtbares Ende zu finden.
Was in der Zusammenfassung wie ein christlicher Sittenroman klingt, ist in Wahrheit eine erstaunliche Sammlung blutiger Kolportageelemente. Der Roman bietet vom Geist einer Nonne mit dem Gesicht eines Leichnams, über Grabschändung, Mord, Vergewaltigung bis hin zum Auftreten Luzifers höchstpersönlich („Ein verbranntes Braun war über alle seine Züge gebreitet, seine Hände und Füße waren mit langen Krallen bewaffnet… statt der Haare hingen von seinem Haupt lebendige Schlangen herab…“) schauriges Spektakel in bunten Farben. Auch die Gewaltdarstellung (insbesondere bei Ambrosius’ unvermeidlichem Ende) ist drastisch und macht den Roman wohl zu einem der ersten Vertreter des Splatterpunks. Lord Byron meinte einst, in Lewis‘ Kopf könne selbst Satan eine Hölle entdecken, die er noch nicht kenne.
Unerwartet modern auch die moralische Ausrichtung des Buches: Statt christlichem Konservativismus übt der Autor scharfe Kirchenkritik, zeigt die Häupter geistlicher Macht als verkommene Heuchler und unwissende Diener des Teufels. Der hingegen verlangt mit seiner Raffinesse Bewunderung ab und lässt die Kirche heimlich für sich arbeiten, indem strengen Glaubensregeln, sowie die Grausamkeit der Inquisition ihm seine Opfer förmlich zuspielen.
Wer sich also für die Frühzeit des Horrorgenres interessiert und auch mit einigen etwas trockenen Exkursen leben kann, dem sei „Der Möch“ wärmstens empfohlen.
(Dirk M. Jürgens)