“Eisgott” von Andrew Vachss
„A bomb built in hell“/“Eisgott“ von Andrew Vachss (1972/2004)
(dt. Ausgabe/Kreuzfeuer Verlag) Hardboiled
Andrew Vachss erster Roman ist definitiv ein Meilenstein seines Genres. Um so unglaublicher, dass ‚A Bomb built in Hell‘ in Deutschland weltweit zum ersten Male in Druckform veröffentlicht wurde, 27 Jahre nach seiner Fertigstellung. Warum? Weil das Buch den amerikanischen Verlegern seinerzeit zu ‚unrealistisch‘ und zu brutal war. Ich muss sagen, ich habe selten Brutalität, pervertierte Gewalt an der Öffentlichkeit und Gewalttaten als solche derart perfide geschildert und derart kalt erzählt gelesen, allerdings habe ich auch selten eine Geschichte über einen Mörder gelesen, dessen Motivation derart schlüssig dargestellt, und dessen Werdegang, moralisch und beruflich, derart nachvollziehbar erläutert wurde. Und die unrealistischen Ereignisse, die Vachss 1972 schrieb, sind bis heute alle eingetreten. Schockierend real wie Scorceses ‚Taxi Driver‘ und kalt und berechnend wie ein ‚Eisgott‘ schildert der Roman die Taten des Profikillers Wesley, erklärt deutlich seine Ansichten, seine Pläne, seine Morde. Wesley wird spätestens im Gefängnis zu einer ‚Bombe, gebaut in der Hölle‘, zu einem Mordwerkzeug, das erst für Geld tötet, dann für Überzeugung. Er wird zu professionell, zu kalt, um auf unschuldiges Leben Rücksicht zu nehmen, beseitigt dann seine Auftraggeber und sucht nach höheren Zielen, nach seiner Motivation, und nach der wahren Wurzel allen Übels. ‚Unbeirrbar wie ein Laser‘ schneidet er sich in das Fleisch von Mafiapaten, Diktatoren und seinem ultimativen Opfer: der Gesellschaft. In einem schrecklichen Finale massakriert er eine ganze Schule mit eigener Hand und geht auf in seiner finalen Schlacht ohne Gegenwehr, einem Feldzug der nur Tote kennt. Unrealistisch?
‚Der Kopf plant. Die Hände töten. Das Herz pumpt nur Blut.‘
‚A Bomb Built in Hell‘ hätte das sein sollen, was Armitage Trails ‚Scarface‘ vor fast 80 Jahren war. Ein Meilenstein in der Schilderung einer neuen Art des Verbrechens. Und wäre Vachss‘ Roman damals in den Druck gegangen, wäre er wie Scarface von der amerikanischen Öffentlichkeit wahrscheinlich verrissen worden als ‚Schund‘ und ‚Abfall‘, wahrscheinlich hätte man Vachss sogar dafür beschuldigt, seine Bücher würden solche Verbrechen überhaupt erst erzeugen. Vachss arbeitete 1972 bereits seit Jahren als Leiter einer Justizvollzugsanstalt und auch danach in staatlichem Dienst in den Bereichen der Jugendkriminalität, der Bekämpfung von Kindesmissbrauch und der Resozialisierung von Straftätern. Das ‚Who is Who in American Law 2004‘ listet ihn auf unter VACHSS, ANDREW HENRY, lawyer, author, juvenile justice and child abuse consultant. Er selbst ist des öfteren Opfer von Gewalt geworden und trägt eine schwarze Augenklappe, seit ihm sein rechtes Auge mit einer Fahrradkette ausgerissen wurde. Auf seiner Webseite ‚the zero‘ auf http://www.vachss.com widmet er sich auch dem Thema der Kindesmisshandlung und Verbrechensverhütung.
Ich habe schon viel von Andrew Vachss gehört und gesehen, zumal er auch einige sehr einflussreiche Comics geschrieben hat und oft zitiert wird, aber ‚A Bomb built in Hell‘ war tatsächlich mein erster Roman von Mister Vachss, ganz gewiss aber nicht mein letzter.
Andrew Vachss ist der lebende Beweis, dass die brutale Wirklichkeit und das schonungslose Erzählen der Hardboiled-Kriminalliteratur die Ursachen der Gewalt und Verrohung demonstrieren und auf ihre abschreckende Art dokumentieren, als dass sie selbst Gewalt sähen. Die Wirklichkeit ist erschreckend, und ebenso schrecklich sind die Ursachen und Auswüchse menschlicher Gewalt. Ignoranz und Wegsehen züchtet sie, und wo niemand die Gesellschaft hinterfragt und wo das Individuum unberücksichtigt bleibt, da gedeiht sie und wird alles verschlingen wie ‚der Eisgott‘, wie ‚eine Bombe, gebaut in der Hölle‘. Sehr harter Stoff, hochpräzise und furchtbar prophetisch. Unbedingt lesen.
Sebastian Kempke
Anmerkung: Kurz nach Veröffentlichung auf weirdfiction.de wurde dieses Review mit freundlicher Genehmigung des Autors auch auf der offiziellen deutschen Vachss-Seite in Auszügen veröffentlicht. Danke nochmal an http://www.vachss.de !!