“Die Passion Christi”
„Die Passion Christi“ oder Und Gott sprach, es werde Splatter!
(2004) von Mel Gibson
Eigentlich wollte ich den Film tatsächlich mögen, aber Gibson wollte es anders.
Als Freund blutiger Horrorfilme nehme ich es niemandem krumm, seine SM-Phantasien filmisch auszuleben und wo es passt auch in literarische/historische/religiöse Kontexte zu kleiden… die Betonung liegt auf “wo es passt”.
Der Film zeigt sich als absolutes theologisches Nichts, weil er wirklich keinen Hauch von Interesse an Gnade, Vergebung oder ähnlichem zeigt (Dinge, die gemeinhin für wesentliche Elemente des Neuen Testamentes erachtet werden), sondern lediglich zwei Stunden lang im Fleisch seiner Hauptfigur herumwühlt. Besonders entlarvend, dass der “Vergib ihnen…”-Satz direkt zu Kaiphas gesagt wird, den anschließend noch der “gute Mitgekreuzigte” anklagt, wie gut Jesus wäre, damit dem platten Geist auch klar ist “Aha…indem Jesus ihm vergeben hat, hat er ihn noch härter verdammt als vorher. Listig!”. Noch deutlicher das Gespräch mit den anderen Gekreuzigten: Nachdem dieser Jesus verspottet hat, taucht prompt ein Vogel auf, zerhackt ihm zur Strafe das Gesicht und führt das vorgeblich gnädige Gottesbild des Films sofort ad absurdum.
Die angebliche “Originalgetreue”, die manche dem Film anrechnen wollen ist ebenfalls Käse: an einer historischen Bearbeitung war Gibson gar nicht erst interessiert und für eine biblische (als die der Film sich ausgibt) hat er sich einfach ein bisschen zu viele Qualen zusätzlich ausgedacht, wie die Tempeldiener, die Jesus an seinen Ketten aufhängen oder die rundenweise Auspeitschung mit wechselnden Instrumenten.
Angesichts der praktisch in Echtzeit gefilmten Martern fällt umso deutlicher auf, wie kurz und alibihaft die Auferstehung abgehandelt wird; interessant dabei, dass sie in Scorseses “Die letzte Versuchung Christi” (der diesen Film eh zum Abendmal verspeist) zwar überhaupt nicht gezeigt wird, aber dennoch präsenter ist.
Ein paar Flashbacks zu anderen biblischen Episoden wirken beliebig eingestreut, da das Hacksteak, das uns zu diesem Zeitpunkt als Jesus präsentiert wird, nicht mehr so wirkt, als würde es irgendwas anderes denken können als “Schmerz, Schmerz, Schmerz”.
Die Antisemitismus-Vorwürfe gegen den Film hingegen halte ich für unbegründet. Klar wird der Jude Jesus von anderen Juden angeklagt, aber es sind die Römer, die ihn geißeln und kreuzigen und das mit enormem Vergnügen. Viele Leute verweisen darauf, dass Kaiphas der Böse und Pilatus nur ein Opfer der Umstände ist, dem gar nicht behagt, was hier geschieht (was natürlich der historischen Wahrscheinlichkeit widerspricht, denn welchen römischen Statthalter hätte schon das Leben eines ausländischen Wanderpredigers interessiert?) aber das ist nun mal der Vorlage geschuldet, in der es entsprechend dargestellt ist. Und gerade diese Punkt ist nun auch künstlerisch zu rechtfertigen, da ein so gequälter Pilatus nun einmal mehr dramatisches Potential hat, als ein desinteressierter.
Wer sich daran hochzieht, dass angeblich alle Juden, die nicht zu Jesus’ Anhängern gehören negativ dargestellt werden, während es bei den Römern nur die niedrigen Ränge sind, die ihren Sadismus pflegen, der sei aufgefordert, seine Scheuklappen abzunehmen und die zwei, nicht in der Vorlage stehenden Ratsmitglieder zu sehen, welche aus Protest über die Anklage gegen Jesus den Rat verlassen. Oder die jüdische Frau, welche ihm auf dem Weg nach Golgatha einen Krug Wasser bringt, den ein Römer zerschlägt (was Gibson übrigens, wie mir scheint aus dem Prochnow-Film „Das siebte Zeichen“ entnommen hat) oder auch Simon von Cyrene, der ihm erst nicht helfen will, da er Angst hat, den Zorn seine Feinde zu erregen (und außerdem wohl „Das Leben des Brian“ kennt), dann aber, ohne dass Jesus zu ihm spricht, ihm Wunder zeigt oder ihn sonst wie christianisiert, Mitleid angesichts seiner Leiden bekommt und sich gegen die Römer für ihn einsetzt. Die Bibel, wie der Film, erzählen eben eine Geschichte aus einer Theokratie, in der ein Andersdenkender auftaucht – mag diese nun halt jüdisch sein, verhält sie sich eben so, wie es Theokratien bis heute zu tun pflegen. Wen es hier stört, der müsste auch alle Filme über die Inquisition ablehnen.
Ungültig auch alle Verweise auf Gibsons spätere Ausfälle: Es rechtfertigt nichts, aber es ist mir vollkommen verständlich, wenn ein simpel gestrickter Mensch (und dafür halte ich ihn) Aversionen gegen eine Minderheit bekommt, deren selbsternannte Vertreter ihn zu unrecht zum Teufel persönlich erklärt haben.
Natürlich ist nicht alles an dem Film schlecht, es gibt ein paar wirklich faszinierende Bilder (die “Träne des Himmels”, der an Chris-Cunningham-Videos erinnernde Satan…) und auch der aramäische/hebräische/lateinische Ton des Film schafft Atmosphäre, aber alles andere wird in Blut ertränkt, was jedes aufkommende Gefühl abwechselnd durch unfreiwillige Belustigung und Ekel übertüncht.
Interessantes Detail am Rande: Seine Stigmata behält Jesus nach seiner Auferstehung. Warum sind aber die Millionen anderer Wunden, wie die heraushängenden Rippen plötzlich verschwunden?
(Dirk M. Jürgens)