#quinnspiracy, #gamergate, Hybris und Hoffnungsschimmer
„Wie der Hund immer nur den Hund zeugt, so zeugt Blut immer nur Blut“, versucht die Geliebte des „Ben Hur“ dem Helden seinen Rachedurst auszureden. Leider hat sich diese simple Regel immer wieder bestätigt, so auch in der noch immer tobenden Videospiel-Geschlechterdebatte, zu der ich mich ja schon früher äußerte. Frauen wurden online sexistisch angegangen, wandten sich radikalen Feministinnen zu und gingen fortan andere Männer sexistisch an, was nicht gerade deren Frauenbild half. Sinnvolle Debatten, Analysen und Überlegungen gingen unter in dem allgemeinen Geschrei. Es war wichtiger, in welchem Lager man stand, als, was Sache war.
Doch die neusten Entwicklungen, die mit dem Begriff #GamerGate umschrieben werden, könnten endlich ein erster Silberstreif sein, der Besserung und Versöhnung verheißt.
Die dahinter steckende Affäre ist groß und komplex, so dass ich mir nicht anmaßen will, sie gänzlich wiedergeben zu können, da sie aber im deutschsprachigen Raum so ziemlich ignoriert wird, hier ein kurzer, vager Überblick:
Der Ex-Freund der Independent-Spieleentwicklerin Zoe Quinn veröffentlichte im Netz eine große Abrechnung mit ihr, in welcher er angab, von ihr mit fünf verschiedenen Männern betrogen worden zu sein, von denen drei Redakteure bei großen Videospielwebsites seien.
Eifrige Gamer begannen nach Spuren zu wühlen und brachten bald immer mehr Indizien über weitere vetternwirtschaftliche Verflechtungen zwischen Spieleherstellern, Kritikern und sogar den Veranstaltern von Wettbewerben zutage. Zudem wurde Quinns Karriere misstrauisch beäugt und der Verdacht laut, dass sie, die wie Sarkeesian enorm vom Ruf profitiert hatte, Opfer sexistischer Belästigung zu sein, diese selbst inszeniert hatte. Dazu natürlich die üblichen Beschimpfungen und Einbrüche in die Privatsphäre der unfreiwilligen Zentralfigur. Ein weiterer bedeutender Punkt waren Hinweise darauf, dass Quinn mit Hilfe ihrer verbündeten Journalisten (sowie Hackern) einen Wettbewerb zur Förderung weiblicher Game Designer einer Gruppe namens „The Fine Young Capitalists“ sabotierte, um eine eigene Aktion zu fördern (die aber nie über Spendensammlung hinauskam). Zudem kam es zu großangelegten Zensuraktionen (teils unter dem Vorwand des Urheberrechts) überall dort, wo man die Sache diskutierte.
Nun ist ein wütender Ex nicht gerade die sicherste Quelle und Verschwörungstheorien auch recht alltäglich, dennoch war der Vetternwirtschaftsverdacht ein Sonderfall dieser Affäre. Ob berechtigt, oder nicht – die Sache machte Wellen und war ein Thema, welches die Szene beschäftigte. Und die völlig einheitliche Politik der Websites, die nie einen Zweifel an der absoluten Richtigkeit des Kreuzzugs von Sarkeesian & Co gelassen und andere Meinungen stets als Sexismus abgewürgt hatten, war durchaus ein Verdachtsmoment.
Dennoch wurde sie von den großen, ins Zwielicht geratenen Websites vollkommen ignoriert. Stellungnahmen per Twitter, Quinns Liebesleben sei ihre Sache und das Thema vollkommen bedeutungslos, war das Höchste, was man kriegen konnte.
Kurz darauf verkündete Anita Sarkeesian, durch Drohungen auf Twitter aus ihrer Wohnung fliehen zu müssen. – Und nun sprangen die Websites auch darauf an! Nun hatten sie endlich die vertraute Narrative von tapferen Frauen, die von hasserfüllten Männern unterdrückt wurden.
Wohl, um die an sie gerichteten Vorwürfe zu übertönen, beließen sie es diesmal nicht bei der üblichen Szenekritik, sondern erklärten verblüffend einheitlich gleich den „Tod des Gamings“. Von nun an könne man sich nicht mehr als Gamer bezeichnen, weil dieser Titel zwingend Frauenhass beinhaltete.
(Für ausführlichere Darstellungen empfehle ich wieder einmal The Males of Games und den Youtuber InternetAristocrat. Als „Frontberichterstatter“ hat sich auch der Kommentator und Sarkeesian-Kritiker Mundane Matt als tauglich erwiesen.)
Ich betone noch einmal: Ich habe keine Ahnung, was hinter den Kulissen vorgegangen ist und welche Beschuldigung stimmt. Es geht im Endeffekt nicht um Zoe Quinn, sondern um die Frage nach der journalistischen Integrität der Spielepresse. Denn deren Versuche, durch diese lauten Beschimpfungen die Kritiker einzuschüchtern schlug fehl. Nachdem es zweifelhaft geworden war, inwieweit man ihnen trauen konnte und sie sich in Hybris gegen diejenigen wandten, deren Interessen sie eigentlich vertreten sollten, begannen diese zu hinterfragen, wer hier von wem abhängig wäre.
Nachdem die eigentlichen Plattformen eine Debatte verweigerten, sondern ihre Leser als „self-centered slobs“, „Misogynerds“, „Manbabies“, Nazis und Terroristen beschimpften, nahmen sich Blogger und Twitterer der Sache an. Und hier geschah, was Anlass zur Hoffnung gibt: Weibliche, farbige und homosexuelle Gamer meldeten sich zu Wort und distanzierten sich von denen, die für sie zu sprechen behaupteten, ihnen aber keine eigene Meinung gestatteten.
Während die Spielepresse weiterhin so tat, als ginge es um die Unterdrückung von Minderheiten durch eine männliche weiße Mehrheit, erhboen eben diese Minderheiten unter #notyourshield ihre Stimme und erklärten, es ginge um journalistische Integrität. Sie verwiesen darauf, dass die Gegenseite, wenn sie alle Kritiker als sexistische weiße Männer darstellt, genau das tut, was ursprünglich mal ihr Vorwurf war, nämlich Frauen und Minderheiten auszublenden, auszuschließen und ihnen keine Beteiligung zu gestatten:
Stephanie Anne:
„We don’t hate women. We are women.“
Jessica James:
Im not a boy or part of any club. I’m a girl who games. I will not play victim; Zoe Quinn does not represent me. @SimonHoneydew #GamerGate
Haircolour Complex:
Stop fucking picking on white dudes because they don’t agree with you and ignoring women/POC/trans/gays etc #GamerGate
Ausgerechnet 4/chan nahm das Projekt der Fine Young Capitalists wieder auf und brachte eine ansehnliche Summe für einen feministischen, aber eben positiven Zweck zusammen (dass auch dort wohl inzwischen der Verdacht der Vetternwirtschaft aufgetaucht ist, ist traurig, ändert aber nichts an der Sache selbst). Und noch immer wandten sich die selbsternannten VorreiterInnen des Feminismus gegen dieses Projekt. Denn es könne nicht gut sein, was von den Falschen käme.
So zeigte sich, dass der große Konflikt, der die letzten Jahre gefüllt hatte, überhaupt nicht zwischen den Gamern selbst stattfand, sondern von einer kleinen, lauten Minderheit erzeugt und geschürt wurde.
Statt darauf zu sehen, was sie trennt, betrachteten die Gamer auf einmal, was sie verbindet. Ein schwarzer Gamer etwa verwies darauf, dass die Hautfarbe doch nun eigentlich nicht wichtig sei, in einem herzzerreißenden Video schilderte die Youtuberin Jayd3Fox, welch brutale Beschimpfungen und Todeswünsche sie erfahren hatte, nachdem sie sich über Sarkeesian lustig gemacht hatte. Sie zeigte also, dass derartiges Verhalten nichts mit Geschlecht, aber alles mit Moral zu tun hat.
In eine ähnliche Richtung ging auch der lange, famose Artikel „, der erst diverse, im Web geäußerte Drohungen und Obszönitäten sammelte, um dann zu enthüllen, dass diese nicht an eine jener angeblich so einzigartig bedrängten Feministinnen, sondern den Anwalt und Videospielgegner Jack Thompson gegangen waren. Der Verfasser verwies darauf, wie wenig Empörung diese hervorgerufen hatten und dass die Dämonisierung der Videospielwelt eher Frauen aus dieser fernhält, als sie zu integrieren. “
Mit ihrem totalitären Anspruch, ihrer absoluten Rücksichtslosigkeit gegenüber Andersdenkenden und ihrer Ignoranz gegenüber Minderheiten, die nicht in ihr Weltbild passen, waren die „Social Justice Warriors“ zu dem geworden, was sie zu bekämpfen vorgaben, während sich auf der von ihnen beschimpften Gegenseite Solidarität und Gemeinschaftssinn bildete.
The Males of Games:
„It just occurred to me that the reason game journalists ignore the women of #GamerGate is because they feel entitled to speak for them.“
Mundane Matt:
“600 game devs call for an end of „harassing speech“…sure, what about the THOUSANDS of gamers calling for the same from the press?”
Wie es enden wird ist noch nicht abzusehen. Vielleicht flaut es ab und wird vergessen. Vielleicht schlägt es um und die alte Sexismusnarrative obsiegt doch wieder. Vielleicht erlangen die Spieler den Sieg, nur um dann wie der arabische Frühling festzustellen, dass sie jetzt die Extremisten im eigenen Lager am Hals haben. Ich weiß es nicht, doch ich sehe erstmals seit langem einen Schimmer von Hoffnung, dass sich etwas bessern könne.
Gerüchten zufolge werden die ersten Anzeigenkunden nervös, was sie Zusammenarbeit mit den jetzt so umstrittenen Seiten angeht, die so auf ihre Zielgruppe einprügeln. Diese bleiben zumeist uneinsichtig, verdammen etwa 4/chans Spendenaktion und beharren auf dem Standpunkt, es sei ein reiner Geschlechterkampf und die Spieler sollten sich darauf konzentrieren, vor ihrer eigenen Tür zu kehren, ehe sie es wagten, Journalisten zu kritisieren. Ich möchte ihnen Bertolt Brechts Gedicht „Die Lösung“ nahelegen:
Nach dem Aufstand des 17. Juni
Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands
In der Stalinallee Flugblätter verteilen
Auf denen zu lesen war, daß das Volk
Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
Und es nur durch verdoppelte Arbeit
zurückerobern könne. Wäre es da
Nicht doch einfacher, die Regierung
Löste das Volk auf und
Wählte ein anderes?
Sicher wird es auch in Zukunft Höhlenmenschen geben, die, sobald sie bei “Call of Duty” einer Frau begegnen, grölen, diese möge wahlweise in ihre Küche oder zu “Candy Crush” verschwinden. Ebenso werden auch künftig immer wieder Paranoikerinnen kreischen, Shigeru Miyamoto hasse Frauen.
Doch nachdem man gemeinsam gekämpft hat, nachdem man so deutlich gesehen hat, dass die Fronten nicht nach Geschlechtergrenzen verlaufen, sehe ich die Hoffnung, dass all diese Unsympathen künftig aus dem Mainstream verdrängt werden können. Statt anzunehmen, dass das andere Geschlecht einem das Spielen vermiesen will, sage man sich künftig: „Die einen haben eine Sarkeesian, die anderen Jack Thompson… nehmen wir uns nicht krumm, dass wir die gleichen Chromosomen haben wie die, sondern spielen eine Runde ‚Mario Kart‘!“
#Gamergate – Ein unqualifizierter Kommentar | the eternal gamer
31. Oktober 2014 @ 17:42
[…] Beitrags hier wären rudimentäre Kenntnisse jedoch von Vorteil, weshalb ich zuvor die Lektüre von Dirk M. Jürgens’s Zusammfassung beim Buddelfisch empfehle. Ich warte solange […]