Anita Sarkeesian und das ganze Geschlechterzeug (2)
Hier geht es zum ersten Teil dieses Artikels.
Nachdem Sarkeesian lange beklagte, dass die meisten weiblichen Videospielfiguren übersexualisiert werden und/oder passiv sind (soweit, so richtig und so wenig neu), beklagt sie noch einmal extra Fälle, in denen diese Opfer von Gewalt werden. Anklagend zeigt sie eine lange Montage vom Anfang der verschiedenen „Double Dragon“-Versionen, in denen die Freundin der Helden niedergeschlagen und entführt wird.
Hier stellt sich nun die Frage, was so speziell schlimm daran ist. Denn das Gewalttabu gegen Frauen stammt aus eben jener Geringschätzung, die hier doch bekämpft werden soll. Die Frau als schwaches, passives, nichts könnendes Ding, das keine Chance gegen den potenten Mann hat. Solange Frauen diese passive Objektposition innehaben, verdienen sie wirklich allen Schutz. Diese Rolle soll aber ja nun gerade durchbrochen werden und wenn Frauen da nicht einstecken dürfen wie Männer, ist das ein guter Grund, sie aus dem aktiven Geschehen heraus zu lassen. Wieso sollte ein Programmierer sich das Leben mit einer Figur schwer machen, die er mit Samthandschuhen anfassen muss? Ja, im vorliegenden Fall hat die Frau beides, die Passivität und den Schmerz, aber es geht hier ja gerade darum das Unrecht, welches der Spieler sühnen soll, ausreichend verwerflich darzustellen. Das ist nicht Sadismus, sondern Manipulation zum Mitfühlen. Den Sadismus hebt man sich für die (zumeist männlichen) Gegner auf.
Das zweite „Damsel“-Video ist übrigens mit einer Trigger Warnung ausgestattet, also einem Hinweis, dass es Gewalt gegen Frauen enthalte und man es sich lieber nicht ansehe, um nicht Traumata wieder aufbrechen zu lassen. Die Gewalt, die wir dann sehen, ist nur die in Videospielen übliche mit all dem dort praktizierten Erschießen und Erschlagen, wie es täglich Tausenden digitaler Männer angetan wird. Wenn der Umstand, dass es diesmal eine Frau trifft, gleich eine Extrawarnung benötigt, wäre es nur die natürliche Folge, Frauen aus derartigen Spielen wegzulassen und harte Spiele zur rein männlichen Domäne zu machen. Denn was kann ein Programmierer daraus nur schließen? Frauen scheinen ein Problem mit digitaler Gewalt zu haben. Da sich diese aber an sich wunderbar verkauft, schneidet man sie natürlich auf die Kunden zu, die dieses Problem nicht haben. Auch hier wieder: Wer als Held austeilen will, muss auch als Gegner oder Opfer einstecken können. Sarkeesian aber will sich nicht für eine Position entscheiden, sondern pickt sich die Rosinen aus beiden.
Speziell prangert sie den Fall an, dass die Frau stirbt, um den Mann zu motivieren, also ihr Tod nicht ihrer Geschichte, sondern seiner dient. Sie nennt etwa „Dante’s Inferno“ oder „Max Payne“ als Beispiele dafür, wie hier der gewaltsame Tod einer Frau ausgebeutet werde.
Ich habe beide gespielt und erinnere mich noch gut, worin der Tod von Mrs. Payne resultiert: Durchaus in der aktiven Rachegeschichte ihres Mannes, doch diese besteht vor allem daraus, Unmengen männlicher Gegner gestylt und formschön über den Haufen zu ballern, so dass ihr Sterben den Spieler erfreue. Am Ende ist ihr Tod mit dem Tausender Männer (und zweier Frauen, von denen einer als traurig dargestellt wird, um genau zu sein) beantwortet worden, doch diesen himmelhohen Berg unbeweinter Leichen ignoriert Sarkeesian. Männer sind nun einmal entbehrlich.
Eben diese männliche Entbehrlichkeit ist ja der Grund dafür, dass es einer ermordeten oder zumindest entführten Frau bedarf, um die Geschichte in Gang zu setzen. Max’ Partner stirbt auch recht früh und ohne einen echten emotionalen Eindruck zu hinterlassen. Doch der Tod einer Frau erschüttert die Welt und kann nicht hingenommen werden. Er wird in vielen Traumszenen und Zwischensequenzen ausgiebig betrauert – so bedeutsam ist er.
Ach ja: Hauptschurke von „Max Payne“ ist übrigens eine Frau, die aktiv kriminelle Machenschaften betrieb, welche Mrs. Payne dann ebenso aktiv aufzudecken drohte, warum diese sie von ihren Handlangern ermorden ließ. Wären alle Frauen der Spielwelt passive Objekte, wäre die Geschichte gar nicht erst geschehen.
Ich möchte Sarkeesian zugute halten, dass sie im zweiten „Damsel“-Video tatsächlich einen einzelnen neuen Punkt macht, der zumindest mir noch nie zuvor begegnet ist. Denn was mir bislang noch nicht aufgefallen war, ist, wie oft Spiele es verlangen, Gewalt „zu ihrem Besten“ gegen die zu rettende Frau einzusetzen. Sie ist dabei in der Regel von Dämonen besessen oder steht unter Hypnose, doch der einzige Weg sie daraus zu befreien, ist, sie abzuschießen oder niederzuschlagen. Darin sieht sie eine Parallele zu der häufig vorgebrachten Rechtfertigung gewalttätiger Ehemänner, ihre Frau habe es ja gar nicht anders gewollt, bzw. sei nur so „zur Vernunft“ zu bringen.
Die direkte Lerntheorie, die sie hier vertritt, ist natürlich Quatsch und auf der Handlungsebene ist die Lage natürlich nicht vergleichbar, aber die Assoziation ergibt schon Sinn. Es ist kein ideologischer Abgrund, aber eine unschöne Parallele (für eine alternative Betrachtung verweise ich auf diesen Artikel der anmerkt, dass mit der Bitte um den Tod die Frau hier jedoch wieder aktiv wird und der Mann ihrem Willen folgt). Natürlich ist auch hier zu bedenken, dass es meist als gerade schlimm dargestellt wird, Gewalt gegen eine Frau ausüben zu müssen (also wieder das Tabu als Gefühlsverstärker benutzt wird), während männliche Besessene wenig Umstände bereiten. Es wird also keineswegs Gewalt speziell gegen Frauen gelehrt, aber den Punkt der Beobachtung, trotz falschen Schlusses, will ich ihr lassen.
Den Großmut kann ich mir leisten, denn sie zeigt gleich im Anschluss wieder ihre Eingeschränktheit, wenn sie dies als besonders alarmierend bezeichnet, da Gewalt gegen Frauen so ein großes Problem sei.
Ist es das nicht? – Ich sage, nicht speziell.
Gewalt ist ein Problem, egal, wen sie trifft. Natürlich stellen Männer (wir erinnern uns, meist physisch stärker) die Mehrheit der Gewalttäter, aber eben auch die der Gewaltopfer. Wenn jemand sagt „Man schlägt keine Frauen!“ ergänze ich meist, man schlage keine weißen Frauen, was nur dann rassistisch ist, wenn ersteres sexistisch ist. Niemand sollte Gewalt erleiden müssen, egal, was er oder sie zwischen den Beinen hat. Doch Gewalt gegen Männer wird nicht problematisiert. In einer Videoreihe, welche gerade für die Anerkennung der Stärke und des mangelnden Schutzbedürfnisses von Frauen eintritt, ist diese Haltung besonders fehl am Platze und zeigt, dass es hier nicht wirklich um die Auflösung sexistischer Stereotypen, sondern einseitige Vorteile geht. Die Frau soll durch Tabus geschützt sein, wie die mittelalterliche Prinzessin, aber gleichzeitig für ihre Stärke und Selbstbestimmung gelobt werden, wie Lara Croft. Und der Mann ist eh recht egal.
Sie verweist als Kontrast zu all den geretteten Frauen auf die Fälle, in denen männliche Figuren (etwa Snake aus „Metal Gear Solid“ oder Link aus „Legend of Zelda“) in Gefangenschaft geraten. Diese, vom Spieler gesteuert, befreien sich zumeist selbst, bleiben also Akteure, statt zu Objekten zu werden. Auch hier übersieht sie die Kehrseite der Medaille: Der Mann darf sich vielleicht retten, aber er muss es auch. Die Frau verliert kein Gesicht durch ihre Passivität, schafft der Mann es aber nicht, sich selbst zu befreien, hat er versagt. Mit der Anerkennung der Stärke wird ihm dieselbe auch als Pflicht aufgebürdet.
Im dritten Teil kommt sie auf die ja tatsächlich wenigen Fälle zu sprechen, in denen ein Mann zu retten ist. In dem mir unbekannten Independentgame „Spelunky“ könne man sich aussuchen, ob der männliche Protagonist eine Frau, einen Mann oder einen Hund zu retten hat. Hier merkt sie süffisant an, es verheiße nichts Gutes, wenn eine Frau durch einen Hund ersetzt werden kann und ignoriert dabei völlig, dass der Mann ebenso ersetzbar ist (und ganz abgesehen davon, dass der Wert eines Hundes in Filmen den eines Mannes meist übersteigt). Während die Frau zudem zwar sexy, aber vollständig bekleidet ist, ist der „dude in distress“ eine Stripper-Karikatur, also in diesem Zusammenhang durch seine „unmännliche“ Hilflosigkeit eine lächerliche Figur.
Ironie erkennt sie dabei übrigens generell nicht an. Wenn etwa „Earthworm Jim“ mit einer Prinzessin namens „What’s-Her-Name“ augenzwinkernd und ohne erhobenen Zeigefinger die Aufmerksamkeit darauf lenkt, wie stiefmütterlich Videospielprinzessinnen meist behandelt werden, erklärt sie den Humor zum reinen Alibi, hinter dem man doch wieder die alten Klischees benutze.
Sie stellt mit „The Legend of the Last Princess“ auch ein eigenes Spielkonzept vor, welches angeblich die bisherigen Probleme vermeide: Eine von bösen, männlichen Putschisten eingekerkerte Prinzessin befreit sich, kämpft sich in einem stealth game gegen männliche Gegner durch ihr Reich und steht schließlich den ebenso männlichen Erzschurken mit kampfbereitem Schwert gegenüber, um die Monarchie abzuschaffen. Alles Maskuline ist hier also entbehrlich, um der Geschichte einer Frau zu dienen. Doch auch wenn man die analytische Ebene beiseite lässt, klingt es nicht nach allzu viel Spielspaß – denn in diesem Thesenstück wird man zur Analyse gezwungen, so dass das Beiseitelassen gerade eben nicht möglich ist. Schon der erste Satz erklärt recht meta, dieses Märchen beginne „like many fairy tales“, dann will sich die Prinzessin nicht etwa einfach nur befreien, sondern wird ausdrücklich „tired of the damseling“ und am Ende muss dann noch zeitgenössisch demokratisiert werden.
Nichts ist darauf ausgelegt, zu funktionieren, alles soll nur eine Meinung transportieren. Bert Brecht hätte das vielleicht gefallen, aber dessen Urteil über Videospiele hole ich bewusst nur selten ein. Wieder ein Fall von „gut gemeint, statt gut gemacht“, in dem aller Zauber sorgfältig und überambitioniert vermieden wird. Denn hier zeigt sich wieder ein generelles Problem: Archetypen kennt Sarkeesian nicht. Ihre Wahrnehmung lebt auf ihrer kleinen Insel der Genderforschung, auf der diese unabhängig von allen anderen Aspekten des Lebens betrachtet werden kann. Wie Torsten Dewi einmal sagte: Die Wissenschaft vom Wie-ich-es-gerne-hätte.
Nicht jede passive Prinzessin ist Anzeichen einer Geringschätzung von Frauen – es ist erst die überwältigende Masse, die das Problem darstellt. Hier muss man zwischen dem Einzelfall und dem Gesamtbild unterscheiden.
Auch in kritischen Behandlungen des Konzepts wird zumeist gelobt, dass es aber an sich doch ganz interessant klänge oder sicher ein gutes Spiel würde. Nun frage ich jeden, der so denkt, woraus er das schließt? Ist es die vage Story, die für das Gameplay recht egal erscheint? Ist es die Heldin, über deren Fähigkeiten wir überhaupt nichts erfahren? Ich wage zu behaupten, es sind die wirklich wunderschönen Animationen, die Megan Prazencia dazu erstellt hat. Die sehen toll aus, ein Spiel in der Graphik würde mir auch gefallen. Doch das ist wohlgemerkt Prazencias, nicht Sarkeesians Verdienst. Die steht nur für den Inhalt, der es schafft, seine Heldin komplett charakterlos erscheinen zu lassen und trotz aller Knappheit die große Frage aufzuwerfen, warum sie denn nun die Monarchie abschaffen will. In einer Minute und zehn Sekunden schon so ein großes Plothole zu schaffen, spricht nicht gerade für erzählerische Fähigkeit. Hm… eine schöne Oberfläche täuscht über innere Mängel hinweg… man könnte überlegen, inwieweit sich hier nicht das ganze Problem Sarkeesian darstellt. Denn, um jetzt auch mal mein eigenes Geschlecht zu kritisieren, kann man wohl davon ausgehen, dass viele Männer, die ihr zustimmen die gleichen (und besser fundierte) Aussagen von einer weniger attraktiven Sprecherin ablehnen würden.
Für das Ansprechen des folgenden Punktes mag man mir zürnen, aber ich halte ihn dennoch nicht für ganz unwesentlich. Denn Sarkeesian hat neben ihrer Rolle als Kritikerin inzwischen noch eine Zweitbeschäftigung als Gesicht sexistischen Mobbingopfertums angenommen und ihre Videos für Kommentare gesperrt.
Ich kenne das Internet und weiß, was für ekle Gestalten man dort auch unprovoziert anlockt. Umso schlimmer natürlich, wenn man gleich zwei Themen, welche den Leuten nahe gehen (Videospiele und Sexismus) kombiniert. So zweifle ich nicht daran, dass sie sich kübelweise unsachlichen, dämlichen, beleidigenden und verachtenswerten geistigen Abfall inklusiver der obligatorischen Vergewaltigungs- und Morddrohungen anhören musste. Auch zweifle ich nicht daran, dass in ihrem Fall noch extra ein paar misogyne Ratten aus ihren Löchern gekrochen sind, die sie schon allein deshalb hassen, weil sie es trotz ihres Geschlechtes wagt, sich über Videospiele zu äußern. Und nein, ich trete nicht für das Recht auf Hatespeech ein.
Nur ist es einfach Fakt, dass viele Leute mit kontroversen Inhalten sich solch zahnlosem Mundatmergepöbel stellen. Wenn also gerade eine Frau, die dafür kämpft, die Stärke und Wehrhaftigkeit ihres Geschlechtes anzuerkennen es nicht tut, sondern sich stattdessen gezielt und spektakulär in der Opferrolle inszeniert (während sie verlangt, diese Frauen nicht zuzuteilen), dann ist das einfach sehr, sehr ungeschickt und untermauert nicht gerade ihre Glaubwürdigkeit. Insbesondere, da sie auch sonst Diskussionen meidet und von den Hunderten an Antworten auf ihre Videos lediglich die dümmsten, substanzlosesten Rants heraussucht, und als die Norm darstellt.
Ich habe gut reden, mich liest kaum wer, insofern kann ich auch Dinge wie diesen Artikel, der viele Leute erzürnen könnte, schreiben – aber wenn ich nicht bereit wäre, die Hitze zu ertragen, sollte ich aus der Küche fernbleiben. Einen Witz zur Küchenmetapher gerade in einem Sexismusartikel denke sich hier bitte jeder selbst.
Es gibt viele andere Dinge, die man insbesondere an ihrer journalistischen Sorgfalt aussetzen kann. So etwa der Punkt, dass sie die Beispielszenen in ihren Videos offenbar nicht selbst produziert, sondern ohne zu fragen von fremden Kanälen holt, was nicht nur die bittere Ironie hat, das vieles ihrer gelobten Arbeit von Männern getan wurde, sondern auch Zweifel daran hegt, ob sie die Spiele wirklich gespielt hat. Auch wird immer wieder die Frage aufgeworfen, in welchem Verhältnis ihr sehr geringer Materialausstoß zu den Unsummen des dafür gesammelten Kickstartergeldes steht (insbesondere, wenn sie vielleicht nicht einmal die Spiele kauft, die sie behandelt) und ob sie dies nicht lieber in die Produktion „besserer“ Spiele direkt investieren sollte (also aktiv handeln, statt sich nur zu beklagen und auf die Rettung durch männliche Programmierer hoffen).
Doch mir geht es mehr um ihren Inhalt und nicht ihre journalistischen Qualitäten. Darum möchte ich noch auf ihr eher kleines und im Gesamtwerk wenig wichtiges, meines Erachtens aber enorm symptomatisches Video „The Real Reason Guys Should Hate Twilight“ zu sprechen kommen.
Wie der Titel schon sagt, wendet sie sich hier an die Männer, um ihnen mitzuteilen, was sie zu denken hätten. Sie zitiert diverse Leute, die sich darüber beklagen, dass die weichgespülten „Twilight“-Vampire nicht die Monster seien, die man von ihnen zu sein erwartete und erklärt diesen Grund kategorisch für falsch und die Diskussion für abgeschlossen. Der zulässige und verbindliche Grund es zu hassen sei, dass Edward ein „creepy, manipulative, controlling, overprotective Stalker“ sei. – Das ist er tatsächlich und das ist tatsächlich ein Grund, warum ich die Reihe verachte. Es gibt noch jede Menge weitere, doch mit denen, über die sie ein Diskussionsverbot gelegt hat, wollen wir uns nicht weiter aufhalten, sondern darüber staunen, wie in der kleinen Welt Sarkeesians obiger Vorwurf ankommt: Da wolle man nämlich, dass Edward nicht nur emotional, sondern auch noch physisch gewalttätig werde. Sie hat also grundsätzlich nicht verstanden, worum es geht. Keiner will den gewalttätigen Partner Edward, sondern man will das gewalttätige Monster Edward sehen. Es ist nicht ein einzelnes Element, sondern seine Rolle an sich, die bemängelt wird.
Aber diese Wahrnehmungsschwäche ist nur ein Symptom. Denn Hand aufs Herz… wenn es etwas gibt, an dem die Männer wirklich unschuldig sind, dann ist es der Erfolg von „Twilight“. Es wurde von einer Frau geschrieben, wird fast ausschließlich von Frauen gelesen (einer der wenigen Männer dürfte mein Kollege Eisele sein, der es aber aus analytischen Gründen durchlitt) und auch die Filme haben eine praktisch rein weibliche Zielgruppe und Anhängerschar. Wieso wendet sich Sarekeesian dann nicht an diejenigen, welche die dort vorgeführten, reaktionären Geschlechterbilder offenbar als romantisch empfinden und zur Goldgrube machen? Ich wage zu behaupten: Weil sie es nicht gewohnt ist, Frauen zu kritisieren. Weil sie es nicht gewohnt ist, auf Augenhöhe mit jemanden zu reden – es geht nur herablassend und belehrend, weshalb sie ihre Aufzählung noch einmal mit Karaoke-Untertitelung wiederholt und anordnet, diese Meinung von nun an zu übernehmen.
Unsaubere Analyse, Absolutheitsanspruch, kein Interesse am Diskurs und eine offenkundige Verachtung für den Adressaten. – Mit einer so arroganten Herangehensweise erreicht man wenig und darf sich nicht über Anfeindungen wundern.
Viele Leute meinen, Anita Sarkeesian möge zwar nicht perfekt sein, aber habe doch ein paar gute Punkte und verweise durchaus auf ein paar echte Probleme. Das hat und tut sie, aber ich halte eine falsche Lösung oftmals für fataler, als gar keine. Das Zarentum war keine gute Sache, es verknappt gesagt, ohne die von Marx geforderten Voraussetzungen zu erfüllen, durch Stalinismus zu ersetzen aber keine Verbesserung.
Von ihren Feinden wird sie gern als Feminazi bezeichnt, diese Klassifikation würde ich aber nicht unterschreiben. Nicht, weil ich das Wort generell ablehne, sondern weil man es nur da einsetzen sollte, wo es passt. Ich denke hier speziell an das BILD-Werbemodel Alice Schwarzer, welches zugunsten feministischer Privilegien das Ende des Rechtsstaates fordert. Derartiges tut Sarkeesian nicht, Männerhass sehe ich in ihren Ausführungen keine – nur eben Ignoranz gegen das andere Geschlecht (und gegen journalistische wie wissenschaftliche Sorgfaltspflicht).. Sie ist nicht gegen Geschlechterstereotypen, sondern nur gegen die, die ihr nicht passen und nicht nützen, also eine Sexistin. Damit ist sie Teil des Problems, nicht der Lösung. Sie verschärft den Konflikt und behindert Lösungen zugunsten von eigennützigen Halblösungen. Sie tritt als Gesicht des Popkulturfeminismus auf und verdrängt damit fähigere Leute.
Solange sie sich der männlichen Perspektive konsequent verweigert scheidet sie als Retterin in der Geschlechterproblematik aus, denn man kann kein zweigeschlechtliches Problem beseitigen, wenn man sich dabei nur um ein Geschlecht kümmert. Frauen sollten stark sein dürfen, ohne dass man sie deshalb zu SM-Fetischobjekten verzerrt und Männer sollten schwach sein dürfen, ohne dadurch als Witzfiguren vom Paarungsmarkt eliminiert zu werden. Gleiche Rechte und gleiche Pflichten für alle.
Wer nur das halbe Problem sieht, kann keine Lösung für das ganze Problem erbringen, sondern muss zwangsläufig angesichts der falsch erfassten Lage scheitern. Um es in Nerdsprache zu sagen: Wenn die Daleks und Cybermen gleichzeitig die Erde angreifen, ist jemand, der alle unsere Ressourcen für den Kampf gegen die Cyborgs aufwendet nicht der Retter der Erde, sondern derjenige, wegen dem wir sie demnächst in Dalektopia umbenennen können. Wer für die Menschheit ist, muss gegen alle Invasoren kämpfen, wer gegen Sexismus ist, muss für beide Geschlechter sein.
(Dirk M. Jürgens)
Udo
8. September 2013 @ 11:49
Was ich an dem „Double Dragon“-Beispiel ja auch bemerkenswert fand, war die Art und Weise, wie sie das Schlussbild interpretiert hat „Ja, sie darf den letzten Schlag führen, aber da war der Böse ja angeblich schon wehrlos und daher ist das eh wurscht widerlegt das meine Thesen üüüberhaupt nicht.“ Dass man das auch als Wiedererlangung ihrer Selbstbestimmung interpretieren könnte, ist Sarkeesian nicht in den Sinn gekommen.
Dirk M. Jürgens
8. September 2013 @ 12:20
Guter Punkt!
Insbesondere, weil sie damit ja heimlich auf Kritik einging: Jemand hatte halt entsprechend ihrer Entführungsmontage eine entsprechende „Auf den Sack schlag“-Montage zusammengestellt, doch ohne sich darauf zu beziehen, bringt sie es als eigenen Punkt ein.
Sie hat natürlich recht, dass es nicht das Spielgeschehen selbst ist, sondern nur im Paratext geschieht, aber genau da finden ja auch die ganzen Prinzessinnenentführungen statt und die Gewaltlust (durch die Trefferzone ähnlich sexualisiert und wesentlich symbolischer, als der Anfang) ignoriert sie vollkommen.
Aber so verschwand ja auch ihr „Bayonetta“-Video heimlich wieder, nachdem zu klar wurde, dass sie zwischen all den Ausführungen über sexuelle Belästigung in Japan vom Spiel selbst offenbar wenig wusste.
Dietmar
29. September 2013 @ 16:24
Sehr gewitzt! Hat mich total überrascht; guter Gedanke!
Ich spiele keine Spiele und kenne Sarkeesian nicht. Aber das ist für Deine lesenswerte Analyse auch nicht notwendig, finde ich. Kompliment!
Dietmar
29. September 2013 @ 16:39
Naja: Jetzt einer mehr …
Dirk M. Jürgens
29. September 2013 @ 17:14
Das freut mich.
Schon, weil es den etwas dramaqueenigen Satz etwas mit Erfolg belohnt. 😉
tom174
17. Oktober 2014 @ 13:40
Echt mit das beste, was ich bislang zu Anita Sarkeesian las!
Danke!
P.S.: Im ersten Teil passt der Link auf den 2. nicht.
Sebastian
17. Oktober 2014 @ 13:59
Danke für den Kommentar und den Hinweis, Tom!