Der Absturz der Danni Lowinski
Es gibt viele weinerliche Klagen über die Qualität des deutschen Fernsehens, dies soll keine weitere werden, sondern hier soll es um einen Einzelfall gehen, der gerade deshalb so traurig ist, weil er ursprünglich ein solches Potential aufwies.
Ich spreche von „Danni Lowinski“, der unkonventionellen Anwaltsserie mit Annette Frier, welche bei ihrem Start 2010 zurecht bejubelt, mit Preisen ausgezeichnet und sogar von amerikanischen Interessenten entdeckt wurde. Ich war Fan der ersten Stunde und obwohl ich vereinzelt etwas zu starke Anbiederung an niedere Schichten durch Aufrechterhaltung ihrer Vorurteile von „denen da oben“ bemerkte, amüsierte mich die Serie lange durch ihre schrägen Fälle und sympathischen Figuren. Zudem war es soziologisch interessant, welch ein genaues Stimmungsbild der aktuellen Lage in der Bundesrepublik sie zeichnete, indem sie nach und nach praktisch alle Themen, die sie bewegten (von mangelndem Kündigungsschutz bis zum Afghanistan-Einsatz) behandelte und so späteren Generationen einen guten Eindruck der Zweitausendzehner Jahre bieten wird.
Doch schon während der zweiten Staffel zeigten sich Abnutzungserscheinungen, wenn die Nebenfiguren immer mehr zu Clowns verflacht wurden und sich ein unangenehm selbstgerechter Zug in die Serie einschlich. Nun gut – anders, als aktuelle US-Serien mit ihrem Hang zur Ambivalenz hatte man hier auf die ewig gleiche Formel gesetzt, dass die Heldin einen unschuldigen Mandanten vom unteren Ende der sozialen Skala vertrat, der juristisch wie moralisch im Recht war und jedes einzelne Mal gewann (wenn nicht direkt vor Gericht, dann durch Vergleiche oder günstige Schicksalseingriffe), doch dabei vergaß man mit der Zeit, Danni selbst zu hinterfragen und begann ihr alles zu erlauben. Fast jeder ihrer (guten) Mandanten ist mehr oder minder schuldig, hat im Job geklaut, einen Vertrag unterschrieben, ohne ihn zu lesen oder einen Kampfhund scharf gemacht, zudem verschweigen so gut wie alle ihrer Anwältin wichtige Fakten, die sie vorher gebraucht hätte, aber alle werden sie rausgehauen, was stets als Sieg der Gerechtigkeit inszeniert wird. Die große Botschaft der Serie: Hey, wenn ihr auch mal Scheiße baut, müsst ihr nicht dazu stehen! Ihr seid die richtigen Leute, also seid ihr auch im Recht!
Zur vollen giftigen Blüte gelangte dieser unschöne Zug jedoch in der aktuellen 3. Staffel. Von Anfang an dadurch überschattet, dass man das in der letzten Staffel zentrale Liebesdreieck in einer kurzen Anfangsszene zerschlug und damit ihre gesamte Entwicklung verwarf (ich vermute ein Abspringen des Schauspielers, für das die Produktion nichts kann), begann man, bald alle verbleibenden Figuren der Serie zu zerstören und zu Deppen und Unsympathen zu vereinfachen, wo vorher Dreidimensional herrschte. Beziehungen zwischen den Figuren scheinen zudem nicht mehr aus der Handlung entwickelt, sondern vor jeder Szene einzeln ausgelost zu werden, so dass flüchtige Bekannte auf einmal beste Freunde sind.
Das ist traurig, schlimmer jedoch, was auf der beruflichen, juristischen Ebene der Serie geschah. Natürlich muss eine Fernsehserie nicht sklavisch an der Prozessordnung kleben und darf sich künstlerische Freiheiten herausnehmen (auch, wenn ein aus Amerika abgegucktes „Einspruch!“ etwas albern wirk und ein Rückschritt selbst gegenüber den unsäglichen Gerichtsshows darstellt), doch wenn alle Gesetze und Verfahrensweisen beiseite gewischt werden, um der Heldin Platz zu machen, geht es zu weit.
Kein Prozess, in dem sie den gegnerischen (und damit durch und durch bösen) Anwalt mal ausreden lässt, oder auch nur in halbwegs zivilisiertem Ton unterbricht; wenn ein Richter sie dann dafür zur Ordnung ruft, dann höchstens mit sanftem Nachdruck und ohne den Unterbrochenen oder Beschimpfen danach weiter sprechen zu lassen. Diese asoziale Egomanie wird uns als positive, beherzte Originalität einer unangepassten Figur verkauft und bekräftigt die Botschaft des Tu was du willst, welche schon die Fälle durchzieht.
Doch auch das ist leider noch nicht das Schlimmste. In der trostlosen, das Andenken vergangener Qualitäten beschmutzenden dritten Staffel, kommt eine grundsätzliche Verachtung für das Gesetz hinzu. Keine Folge, in der Danni nicht irgendetwas illegales tut – ob Einbruch, Erpressung oder Falschaussage. Sie ist die Gute, was sie tut ist richtig. Punkt!
Die Folge „Lesen und schreiben“, ausgestrahlt am 2.4.2012 unterbietet jedoch auch das alles meilenweit und war der Anlass für diese bitteren Ausführungen. Ich hatte erst vor, an den Sender zu schreiben, aber was hätte das gebracht?
Nicht der Fall selbst, in dem es um Analphabetismus geht, war das Problem, sondern vielmehr ein unsagbar alter Comedy-Hut, von dem aus man moralische Abgründe erreichte, die gerade in einer Serie, die sich moralisch wie diese gibt, eine Ungeheuerlichkeit darstellen. Danni feiert einen Junggesellinnenabschied für eine Freundin, es wird gesoffen, es wird gelärmt und auf den Stripper gewartet. Als ein wegen der Ruhestörung gerufener Polizist an der Tür steht, hält man ihn für diesen und wirft sich kreischend auf ihn. Es ist schon traurig genug, derartig alte Kamellen zu exhumieren (eine natürlich erotikfreie Version dieser Nummer habe ich schon in der „Father Brown“-Geschichte „Die Flüchtigen Sterne“ von 1911 gelesen), doch hier bleibt es nicht beim vermeintlich komischen Missverständnis, sondern geht weiter. Man reißt dem sich wehrenden Mann die Kleider vom Leib, fesselt ihn mit seinen Handschellen an einen Stuhl, knebelt ihn und hält ihm seine Waffe an den Kopf, während er von unzähligen Händen auf einmal begrabscht wird. Die Szene dauert lang und stellt die sexuelle Demütigung tatsächlich drastisch dar, tut mit dem Auftauchen des echten Strippers aber so, als sei sie eine einfache Comedy-Szene gewesen.
In einer Serie, die auch zuvor schon und da natürlich mit aller angebrachten moralischem Empörung, das Thema sexueller Gewalt behandelte, wäre das als kleiner Gag am Rande schon deplatziert genug, doch hier wird ein ganzer Handlungsstrang daraus, da der Polizist (von unseren Heldinnen für diesen boshaften Akt als „Wichser“ kategorisiert) zu klagen gedenkt obwohl er doch eigentlich froh sein könnte, wie man sich einig ist, während man über ihn lacht. Freundliches Kopfnicken zum Klassiker „Wenn sie nicht vergewaltigt werden will, soll sie keinen Minirock tragen“.
Nachdem man sich genug darüber ausgelassen hat, wie unbegründet sein Gejammer ist, versucht man ihn im Gespräch dazu zu bringen, seine Klage (die rein privat läuft, öffentliches Interesse scheint bei einem Angriff auf einen Polizeibeamten nicht zu bestehen) zurück zu ziehen. Dabei zeigt er sich so kaltschnäuzig und arrogant wie alle Prozessgegner der Lowinski, ist natürlich keineswegs irgendwie vom Erlebten mitgenommen (schließlich haben Männer weder Gefühle noch das Recht sexueller Selbstbestimmung) und erhofft sich wohl nur Geld aus der Sache. Ein bisschen lesen ihm unsere Powerfrauen dafür die Leviten, erklären ihm, wieso er eigentlich selbst Schuld ist (der Zusatz „wie die meisten Opfer von Sexualstraftaten“ fehlt) und bemerken dann, dass es ihm vor den Kollegen peinlich wäre, wenn die Sache herauskommt. Ich will mich jetzt nicht an der hirnrissigen Unwahrscheinlichkeit aufhängen, dass er nie darüber nachgedacht hat, dass ein Prozess nicht gerade dazu dient, ein Geheimnis zu bewahren. Ich will mich daran aufhängen, dass in einer anscheinend komisch gemeinten Szene die gute Dani ihm schadenfroh die Demütigung ausmalt, die es mit sich bringen würde, die Klage aufrecht zu erhalten. Man entschädigt ihn mit einer erotischen Autowäsche, für die natürlich alle angezogen bleiben – schließlich hat frau ihre Würde – ihren Spaß haben und ihn trotzdem dafür verachten, so etwas chauvinistisches zu wünschen.
Auch hier, nicht die phänomenale Unkomik ist das Problem, sondern die verkommene erzsexistische Moral, welche die Angst eines Opfers vor weiterer Demütigung für witzig erachtet. Weil es ist ja nur ein Mann. Die wollen das ja nicht anders. Sind ja eh Schweine. Und sollen doch froh sein.
Mir fehlen noch immer die Worte, möchte ich nicht zum alten Liebermann-Satz von der Unmöglichkeit des ausreichenden Essens zum hier angebrachten Kotzen greifen.
Ich sprach oben von der soziologischen Dokumentationsfunktion der Serie. Zumindest diese erfüllt sie hier natürlich wieder wunderbar – in einer vielleicht besseren, gleichberechtigteren Welt kann sie zeigen, wie verquer die Geschlechterbeziehungen einst waren.
Nun ist die Frage natürlich, wie die Serie in aller Welt schlechter werden will, als das, was sie hier in die Welt gebracht hat. Sollte Sat1 gar niemanden finden, der ihnen etwas danebeneres schreibt, biete ich mich an. Wie wäre es damit: Ein netter alter Opa konsultiert Danni, weil der böse alte Herr Goldstein ihn vor Gericht zerrt, nur weil er in seiner Jugend dessen Familie vergast habe. Das war halt so eine Jugendsünde und man war gerade lustig in Polen, dass ist doch nun nach all der Zeit kein Grund für so eine Aufregung.
Aber unsere toughe, unkonventionelle Danni weiß Rat: Man entführt den bösen, reichen Goldstein (der voll den üblen Kapitalisten-Wagen fährt und voll den arroganten Anwalt hat) und vollzieht eine Scheinhinrichtung an ihm, so dass er einen Herzschlag erleidet und seinen Prozess nicht fortführen kann. Tja – die gute Danni weiß sich eben zu helfen!
Also, Sat1 – bei Interesse bitte melden. Ich hab auch noch ein paar ganz ulkige Ideen, damit der Humor nicht zu kurz kommt. Ich will noch nicht zuviel verraten, aber es wird mit Bananenschalen und Sahnetorten zu tun haben. Hey, damit dürften wir doch auf einer Linie sein, oder?
(Dirk M. Jürgens)
Horst
3. April 2012 @ 12:24
Ich hab vor ein paar Jahren da mal reingeguckt (keine Ahnung, ob das jetzt die zwote oder von Dirk gelobte erste Staffel war) und fand es schon unfassbar schlecht schwarz/weiß gezeichnet. Womöglich sollte ich der Serie aber doch noch ne Chance geben, wenn sie sich weltanschauungstechnisch derart hat steigern konnte.
Seit ProSieben „Eure letzte Chance“ mit Beziehungscoach Jo Zawadzki mit seinem „Lenßen und Partner“-Azubiteam, sowie „Das Geständnis“ (die Show mit der Schattenwand) absetzte und nie eine DVD-Collection auf den Markt kotzte, fehlt mir irgendwie eine wirklich amüsante Trash-Show im TV. Die neueren Generationen an Reality Doku-Soaps und irgendwelche Vorführ-Shows haben bei mir Hausverbot.
Von daher: Danke für den Tipp!
Dirk M. Jürgens
3. April 2012 @ 18:35
Doch, unter dem Aspekt und in der Nachbarschaft (in die sich die Sendung ja allmählich begibt), kann man wohl wirklich etwas dreckigen Spaß damit haben. – Ideal zum Test wäre wohl die Folge „Optimisten“, welche die lustige Botschaft hat, dass geistig Behinderte ein Recht auf Ertrinken haben… auch, wenn der Folge dann doch die Eier fehlen, es durchzuziehen.
Die überzogene Schwarzweißzeichnung war aber in der Tat von Anfang an dabei.
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