E. L. James: „Shades of Grey – Geheimes Verlangen“
„Shades of Grey – Geheimes Verlangen (Band 1)“ von E. L. James (2012)
(dt. Ausgabe, E-Book) Mommy Porn, Pseudo-Romantik
Von dem umstrittenen SM-Bestseller, dessen Verfilmung dieser Tage in die Kinos kommt, dürfte jeder schon gehört haben, hier jedoch für alle Fälle erst einmal eine Kurzfassung des mageren Inhalts, der sich quälend über sechshundert Seiten erstreckt:
So, damit sind alle im Bilde, worum es im ersten Teil des unverdientesten Bucherfolgs des jungen Jahrhunderts geht. Bevor ich auf die einzelnen Probleme dieser grausamen Parodie eines Romans eingehe, ein Wort an eventuell mitlesende Sadomasochisten: Euch nehme ich es nicht übel, wenn ihr es mögt. Es ist im Endeffekt ein Porno der auf eure Ausrichtung angelegt ist; vielleicht enthält er da genug Schlüsselbegriffe, um vergnüglich zu sein. Es sei euch gegönnt, da es ja auch unfair wäre, den meisten Hetero-Pornos vorzuwerfen, wie fragwürdig die Arbeitsauffassung ihrer feschen Handwerker ist.
Hier soll es aber um eine literarische Bewertung dieser, zur Eigenständigkeit umgeschriebenen „Twilight“-Fanfiction gehen. Da man nicht weiß, wo man an diesem Berg der Schrecklichkeiten den Aufstieg nehmen soll, arbeite ich es unüblich systematisch in Unterpunkten ab.
Anastasia Steele – Die hirnlose Heldin
Unsere Heldin, die ursprünglich Bella Swan aus den „Twilight“-Romanen war, die ich nicht gelesen habe, die aber ihren Verfilmungen nach auch wenig Gutes verheißen. Schon an dieser hohlen Hülle von Figur bildet sich ein Großteil James’ schriftstellerischen Unvermögens ab.
Denn auch, wenn es ihr an echten Charakterzügen mangelt, ist das Wenige, was sie aufweist durch die Bank katastrophal.
Die einundzwanzigjährige College-Absolventin hat noch nie mit einem Mann geschlafen, sich nie selbst befriedigt und ist so blauäugig, dass sie aus der Aussage des reichen Junggesellen Grey, eine feste Freundin sei nichts für ihn, keinen anderen Schluss zu ziehen vermag, als dass er wohl sexuell enthaltsam lebe. Schon mit dieser schreienden Naivität relativ zu Anfang, dürfte sie die Sympathien jedes halbwegs kritischen Lesers verspielt haben. Denn wenn sie nur Hülle zur Identifikation sein soll: Wer will sich eine derartig dämliche Hülle überstreifen?
Bevor sie mit Grey zusammenkommt, hält sie sich zwei in sie verliebte Typen in der Friendzone, von denen einer auf den Namen José Rodriguez hört und sein Mexikanertum durch gelegentliche „Dios mio!“-Rufe belegt. Von beiden nimmt sich Ana ohne nachzudenken, was immer sie will und hat auch keine Probleme damit, einen von ihnen als Fotografen zu engagieren, um ihren Macker abzubilden. Taktgefühl? Ach wozu denn!
Ihre oben erwähnte sexuelle Unerfahrenheit wäre an sich fragwürdig, aber nicht unmöglich. So könnte man argwöhnen, sie käme aus einem entsprechend konservativen Umfeld, aber durch die Vorführung ihrer etwa hundertmal verheirateten Mutter und ihrer freundlichen, liberalen Vaterfigur fehlt da jeder Hinweis. Was der Charakter ist und was ihn gebildet zu haben scheint, passt nicht zusammen, aber zusammenhängendes Denken ist eh E. L. James’ Sache nicht (siehe Rest des Reviews).
Anas sexuelle Unerfahrenheit steht ihrer Beziehung zu Grey später immer dann im Wege wenn es passt, aber eben auch nur dann. Ab und zu klagt sie wilde innere Monologe über die Krankheit und Verderbtheit von Sadomasochismus, lässt sich aber dennoch darauf ein – ohne selbst Masochistin zu sein, nur weil Mr. Grey so ein toller Hecht ist. Ihre Jungfräulichkeit, die sie über einundzwanzig Jahre bewahrt hat, wird ohne großes Drumherum mal so eben von Grey beseitigt, den sie eben irgendwie stört. Von Ana kein Widerspruch.
In der frühen Phase ihrer Bekanntschaft weigert sie sich lange und vehement, ein paar wertvolle Bücher vom unermesslich reichen Grey als Geschenk zu akzeptieren und auch später stellt sie sich lang und kindisch an, etwas von ihm anzunehmen. Das soll sie vielleicht als unbestechlich darstellen, aber da sie bei seinen sexuellen Begierden oder seiner Angewohnheit, sich stets über ihren Willen hinweg zu setzten keinen Funken Rückgrat zeigt, macht es sie nur wirr und willensschwach.
Einen Versuch, psychologische Tiefe (oder überhaupt auch nur eine Psyche) zu simulieren, unternimmt die Autorin durch das Einbringen der „inneren Göttin“ in Anas Überlegungen. Ich bin mit feministischer Theorie nicht ausreichend vertraut, aber hielt diese für eine Art stolze Verkörperung des Weiblichen („Göttin“ assoziiert Derartiges), aber davon findet sich hier keine Spur. Vielmehr ist es einfach nur die zu ihr sprechende Geilheit, deren einziges Ziel es ist, flachgelegt zu werden. Ob das mit sich bringt, dass sie erniedrigt wird, Dinge tun muss, die sie eigentlich nicht will und eben gerade nicht ihre Weiblichkeit entfaltet (so man diese eben nicht mit Unterwürfigkeit gleichsetzt)? Das kümmert die Göttin nicht!
Ihre Gegenspielerin ist das Unterbewusstsein, welches (die einzige amüsante Idee des Buches) eine Lesebrille trägt und Anas sexuelle Ausschweifungen mit säuerlichen Bemerkungen torpediert. Dies ist also nicht das Unterbewusstsein, sondern der Selbstzweifel – die recherchefaule Autorin hat ihn mangels psychologischer Kenntnis also offenbar falsch bezeichnet und es dabei belassen. An sich könnte eine solche metaphorische Verkörperung verschiedener Positionen im inneren Dialog eine reizvolle Sache sein, hier drängt sich jedoch der Verdacht auf, dass die Autorin so unfähig ist, Gefühle und Gedanken zu schildern, dass sie sie externalisieren muss, um sie irgendwie ausdrücken zu können.
In jedem Fall wird das Kunststück vollbracht, dass die Heldin gleichzeitig blass, unsympathisch und widersprüchlich in einem ist.
Christian Grey – Der geile Geldsack
Nun, aber vielleicht liegt das daran, weil sie nicht dem tollen Mr. Grey die Schau stehlen soll? Schließlich sind männliche Pornodarsteller auch oft Typen, die aussehen, als würden sie bei Sonnenlicht zu Stein erstarren, warum hier dann nicht umgekehrt?
Und was ist es nun also, was ihn auszeichnet? Die Antwort ist einfach: Jede Menge Geld und ein passend dimensionierter Kontrollwahn.
Ich gestehe offen, wohl kein allzu romantischer Mensch zu sein, aber was mir von dem Konzept bekannt ist, hat eher wenig mit dem Kontostand einer Person zu tun. Hier aber ist dieser der Dreh- und Angelpunkt der Beziehung.
Wäre Grey kein Milliardär und hätte er Ana unter anderen Umständen getroffen, wäre nie etwas zwischen ihnen geschehen. Aber wann immer die Autorin zeigen will, wie großartig er doch ist, tut sie das über die Vorführung seiner Reichtümer. – Wie, er verbietet Ana, ihn beim Sex zu berühren? Na gut, dafür fliegt er sie mit seinem Privatjet durch die Gegend.
Selbst wenn er sich auszieht, vergisst die Autorin selten, die teuren Marken der abgelegten Kleidungsstücke zu erwähnen. Eine gewisse Assoziation zu Bret Easton Ellis’ „American Psycho“ liegt nahe und wäre tatsächlich die Chance gewesen, aus „Shades of Grey“ noch einen tatsächlich guten Roman zu machen, aber Satire dürfte James nicht einmal erkennen, wenn diese zwei Flugzeuge in die Zwillingstürme ihres schriftstellerischen Unvermögens lenken würde.
Zumindest ist Grey aber etwas vielschichtiger als Ana. Denn schließlich hat er mindestens fünfzig verschiedene Facetten, wie uns voller Stolz auf die titelgebende Metapher mehrfach direkt ins Gesicht geschrieen wird, damit wir James’ Raffinesse auch ja nicht übersehen.
In ihm verkörpern sich gleich mehrere Typen begehrenswerter Männlichkeit: Er wird gern mal als strahlender Ritter dargestellt (und rettet Ana vor den alkoholisierten Avancen ihres Mexikanerfreundes, mit denen wohl nachträglich gerechtfertigt werden soll, dass sie diesen ausnutzt), ist aber auch selbst rettungsbedürftig, da er als Kind misshandelt wurde und daher emotionale Probleme mit sich herumschleppt. Probleme, die ihn eigentlich beziehungsunfähig machen, da sie ihn davon abhalten, eine Partnerin auch nur annähernd als gleichberechtigt zu betrachten. Wenn er ihr deswegen Selbstverständlichkeiten zugesteht (wie etwa, ihn zu berühren, während er ihr Gegenstände einführt), wird das bereits als großer Akt seiner Hingabe dargestellt, für den frau dankbar zu sein hat.
Natürlich ist er auch körperlich eine Granate, aber seine Haupteigenschaft bleibt auch hier sein Reichtum. Wenn Ana ihn etwa betrachtet, erinnert er sie nicht an klassische Kunst oder sonstige Schönheiten, sondern an die Models in ausdrücklich erwähnt teuren Modemagazinen. Immerhin spielt er ab und zu nackt oder halbnackt Klavier, was jedes Mal ganz superdoll atmosphärisch sein soll und darauf hindeutet, dass James wohl Monty Python nicht kennt.
Dass Grey, obwohl er alle Leute wie Dinge behandelt und Anas Wünsche grundsätzlich ignoriert, ein gutherziger Kapitalist ist, wird dadurch abgefrühstückt, dass er immer wieder mal zum Handy greift und schnell ein paar Lebensmittellieferungen für Darfur befiehlt. Dafür kann ihn Ana dann wieder anschmachten und die Sache kann vergessen werden.
Zudem ist er natürlich fürsorglich, was sich hier aber nicht im Eingehen auf die Bedürfnisse des Anderen äußert, sondern dadurch, dass er einen eigenen Gynäkologen beschäftigt, um Anas Eignung für seine Pläne zu überprüfen und ihr vorzuschreiben, wie sie den Tag zu verbringen und was sie zu essen hat.
Seine amouröse Catchphrase ist übrigens „Du gehörst mir!“ und auch von Anas schräger Idee, Freunde außer ihm zu haben, ist er nicht sehr angetan. Aber hey – er ist wie gesagt sehr, sehr reich!
Obwohl also der Fokus der Ich-Erzählerin ständig auf seinem Vermögen lastet, ist sie äußerst empört, als Sombreroträger José es wagt sie zu fragen, ob sie wegen des Geldes mit Grey zusammen wäre. Also auch hier wieder gelingt es nicht, das, was ausgedrückt werden soll („Ana fühlt sich emotional zu Grey hingezogen“) und das, was geschildert wird („Geld! Angestellte! Luxus! Jets!“) auf eine Linie zu bringen.
Die Schrecken des Schreibstils
Schon lange streitet man, ob Schriftsteller grundsätzlich ein eigener Menschenschlag sind, oder einfach nur Leute, die zufällig einigermaßen schreiben können. Egal, welche Position man in dieser Sache einnimmt, E. L. James passt in keine.
Wie allgemein bekannt war „50 Shades of Grey“ ursprünglich eine „Twilight“-Fanfiction namens „Master of the Universe“ (die eternianische Botschaft war bislang für keine Stellungnahme zu erreichen) und diese Herkunft merkt man ihm durchgängig an. Auffälligstes Merkmal von James’ Stil sind die ständigen Wiederholungen. Die ständigen, ständigen, ständigen Wiederholungen.
Ana verdreht hundertfach die Augen, errötet wohl tausendfach und wohl millionenfach kaut sie auf der Unterlippe. Wenn Letzteres geschieht, wird es von Grey gewöhnlich gerügt, was an sich erfreulich wäre, nur eben zu der zusätzlichen Wiederholung führt, dass er ihr Lippenkauen rügt. Seine oben erwähnte Catchphrase kommt einem auch bald zu den Ohren heraus und die Autorin schreckt nicht einmal davor zurück, ganze Metaphern (etwa, dass ihre innere Göttin ein Cheerleaderkostüm anlegt) wortwörtlich immer und immer zu wiederholen. Dadurch fühlt sich das eh schon lange und handlungsarme Buch noch ein ganzes Stück länger an.
Die ursprüngliche Publikation in Form von Forumsbeiträgen, bei denen bereits Geschriebenes nachträglich nicht geändert oder angepasst wird, dürfte auch Ursache für die unstimmige und je nach Lage frei herumspringende Charakterisierung der Figuren sein, die völlig überzogene Vergötterung derselben ist ebenfalls in der Welt der Fanfiction alles andere als ungewöhnlich. Loben will ich einzig die Formulierung „Wieder schießt mir die Röte ins Gesicht. Wahrscheinlich leuchte ich wie das Kommunistische Manifest“, doch selbst diese verweist auf den bis zum Erbrechen wiederholten Vorgang des Errötens.
Erotik und SM – Das offizielle Gimmick
Zum angeblichen Kern des Romans gibt es erstaunlich wenig zu sagen, da er – zumindest im ersten Band – auch erstaunlich wenig Raum einnimmt. Es gibt vielleicht vier direkt sadomasochistische Szenen, eine davon ein Traum, keine davon sonderlich aufregend. Der Sex an sich ist dafür immer und ohne Ausnahme perfekt und die langen, uninspirierten und sich (o Überraschung!) wiederholenden Schilderungen von verlässlich eintretenden Superduperüberorgasmen langweilen recht schnell und laden, wie praktisch alles im Roman, zum Querlesen ein.
Um den Sex noch uninteressanter zu machen, will Grey mit Ana einen Vertrag darüber schließen, den wir zweimal (er wird nämlich zwischendurch modifiziert) in voller Länge über uns ergehen lassen dürfen. Nun kann man hier zumindest loben, dass Grey selbst erwähnt, dass ein solcher Vertrag natürlich niemals rechtlich bindend, sondern nur für seinen Kick da ist, aber diesen winzigen Anerkennungspunkt wird mehr als nur wieder eingerissen, wenn darin „Keine Handlungen mit Kindern oder Tieren“ vereinbart wird. Denn was wohl zeigen soll, dass Grey nicht wirklich schlimm pervers ist, lässt eher stutzen, wieso es nicht als selbstverständlich gesehen wird.
Arbeitsverträge etwa schließen für gewöhnlich auch nicht ausdrücklich die Vollbringung von Auftragsmorden aus, da man davon in der Regel ausgeht. Besteht ein Arbeitgeber auf diese Klausel, ist erst das Grund zum Misstrauen. – Ein Misstrauen, welches sich auch Grey damit verdient.
Wenn zuweilen gelobt wird, dass die Romane den Sadomasochismus einem breiten Publikum vorstellen würden, muss hier also gesagt werden, dass der Autorin dafür offenbar die Kenntnis fehlt, dies tun zu können. So ist auch die Grobheit und Unsensibilität, mit der Grey die unschuldige Ana einführt unverantwortlich und in ihrem unglaubwürdigen Gelingen ein Indiz für die Ahnungslosigkeit James’ in diesen Dingen. Wenn eine Frau, die bislang nicht einmal onaniert hat und gestern erst entjungfert wurde ist es nicht unbedingt wahrscheinlich, dass man sie heute fesselt, knebelt und ihr einen Dildo in den Anus einführt und sie es sofort genießt. Verantwortungsvolle praktische Anwendung lernt man also nicht, Verständnis für die Minderheit des SMler wird durch das Fehlen zusammenhängender Innenperspektiven auch nicht wirklich geschürt.
Zudem wird der Sadomasochismus auch hier wieder pathologisiert, da Grey eben kein normaler Mensch mit einer speziellen Vorliebe ist, sondern ein tief gestörtes Psychowrack mit Stalker-Tendenzen. Nicht jemand, der in seinem Schlafzimmer gern Spiele spielt, sondern jemand, der wirklich und ständig alle Menschen beherrschen und unterdrücken will und muss. James leistet SM damit etwa den Dienst, den jemand den Schwulen leistet, wenn er auffordert, sie nicht zu hassen, da sie doch schließlich nur krank seien. Wer glaubt, daraus etwas über die wahre Sache zu lernen, glaubt vermutlich auch, eine Staffelbox „24“ ersetze eine Geheimdienstausbildung.
Garstige Geschlechterbilder
Wenig überraschend wird dem Buch oft Frauenfeindlichkeit vorgeworfen, bzw. die Gleichstellung um Jahre zurück zu werfen. Da halte ich es aber nun doch für nötig, etwas zu differenzieren. Denn tatsächlich ist Ana nicht das willenlose Spielzeug Greys, mit dem er machen kann, was er will. Sie verweigert sich immer wieder seinen Forderungen, unterschreibt den Vertrag nicht und verlässt ihn am Ende des ersten Bandes von sich aus und gegen seinen Widerstand.
Dass sie in dem sadomasochistischen Verhältnis den unterwürfigen Part einnimmt (und mal genießt, dann wieder nicht – wie üblich fährt die Autorin keine klare Linie), ist aber in jedem Fall legitim. Es ist ein Spiel in Grenzen, die im Endeffekt sie absteckt, da er rein juristisch nur tun darf, was sie ihm erlaubt. So funktioniert SM nun einmal, das hat wenig mit echter Macht und Unterwerfung zu tun.
Dennoch ist das Frauenbild des Romans katastrophal. Wie oben schon ausgeführt, ist Ana im Endeffekt trotz alles Aufstands, den sie um das Annehmen von Geschenken macht, doch ein unselbstständiges Ding, das sich viel zu viel von einem Unsympathen gefallen lässt, weil sein Reichtum einfach zu faszinierend ist. Und obwohl Grey für viele seiner zwischenmenschlichen Probleme kritisiert wird, werden die schlimmsten Aspekte überhaupt nicht bemerkt, oder ihm sogar positiv angerechnet.
Die Schlüsselszene hierfür steht ziemlich am Anfang, noch bevor die beiden wirklich ihre Beziehung eingegangen sind. Nach erfolgreichem Abschluss ihres Studiums geht Ana feiern, betrinkt sich (wenig überraschend zum ersten Mal in ihrem Leben) und ruft ihn in diesem Zustand an, um irgendetwas zu fragen. Er jedoch ist schockiert darüber, was sie da treibt und kommt sofort per Jet aus einem anderen Staat und schafft sie da weg. Dass er einer erwachsenen Frau, für die er keinerlei Schutzpflichten oder Befugnisse hat verbietet, sich in einer Kneipe (einem dafür nicht unüblichen Ort) in der Gesellschaft von Freunden (die sie, wie er findet ja eh nicht haben sollte) zu betrinken, wird als Akt seiner Fürsorge dargestellt.
Diese Gelegenheit ist es auch, bei der Josés Migrantionshintergrund mit ihm durchgeht und Grey Ana vor ihm retten muss, wodurch ihm durch die Handlung Recht gegeben und gleichzeitig männliche Nettigkeit als Finte diffamiert wird.
Später, wenn sie bereits zusammen sind, bittet sie sich Bedenkzeit aus, während derer sie ihre Familie besuchen will. Nachdem er erst gegen ihren Willen ihren Flug gecancelt und ihr einen besseren gebucht hat, folgt er ihr schließlich und überrumpelt sie in der Öffentlichkeit in der Gegenwart ihrer Mutter. Was sie will und was er ihr zugesagt hatte, kümmert ihn nicht und ist auch aus Perspektive der Erzählerin nicht wirklich wichtig.
Dies wird ein Dauerthema, wenn er etwa ihre Essensgewohnheiten bestimmt, für sie bestellt, auch wenn sie nichts möchte und ihre Einwände grundsätzlich ignoriert. Es ist ja alles nur zu ihrem Besten!
Derartige Verhaltensweisen könnten dem einen oder anderen von seinen Eltern bekannt vorkommen. Doch wenn es auch da falsch, weil respektlos ist, ist es zumindest verständlich: Eltern haben ihren Nachwuchs früher als unselbstständige Kinder, die nun einmal tatsächlich nicht für sich selbst entscheiden können erlebt und können das Verhalten aus diesen Jahren nun nicht ablegen. Grey hingegen trifft Ana als erwachsene Frau und wünscht sofort, sie zu fesseln, auszupeitschen und (gerne mit Hilfe von Gegenständen) in alle verfügbaren Körperöffnungen zu penetrieren – sie dazu dann im Alltag zu verkindlichen, wie er es tut, ist gewaltig fehl am Platz.
Greys ausgiebig behauptete Großartigkeit wird gelegentlich damit demonstriert, dass ihn grundsätzlich so ziemlich alle Frauen der Welt begehren und in seiner Gegenwart sogleich vor Ehrfurcht erstarren. Selbst Kellnerinnen bekommen nicht mal mehr ihre Standardfloskeln heraus, wenn sie ihn bedienen sollen, so dass Ana voll Stolz ihren Neid genießen kann, sich also wie in den Fünfzigern vollständig über ihren Mann definiert.
Selbst, wenn Ana ihn am Ende (zumindest für diesen Band) verlässt, wird dies nicht etwa als die Emanzipation von einem erdrückenden Soziopathen, sondern als welterschütternde Katastrophe ohne jeden Lichtblick dargestellt. Die Gründe für die Trennung, schaffen es zudem noch mal perfekt, beide schlecht dastehen zu lassen:
Gespannt will Ana nämlich nun endlich mal richtiges, hartes und schonungsloses SM erfahren, wie Grey es gern mag. Verantwortungsvoll, wie er ist, erklärt er ihr natürlich, dass sie nicht bereit dafür… ach Quatsch, er zögert natürlich keine Sekunde, seine unerfahrene Neulingspartnerin mit aller Kraft auszupeitschen, ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden, ob sie es abkann. Danach kommt sie dann aber zu dem Ergebnis, dass er einfach zu kaputt ist – also durch seine Veranlagung selbst, nicht etwa durch diese falsche Anwendung – und verlässt ihn wütend und heulend dafür, dass er getan hat, was sie wollte. Damit sind wir bei der, von mir immer wieder beklagten Fantasie weiblicher Verwantwortungslosigkeit.
Das missgelaunte Fazit
Wie schon in meiner kleinen Bestsellerschau, stelle ich auch hier fest, dass Frauen von nicht gerade überragender Intelligenz wohl die Gruppe sind, auf die man seinen Bestseller zuschneiden sollte (kurz zusammengefasst: Es gibt mehr dumme als kluge Menschen, aber dumme Frauen lesen mehr als dumme Männer). Doch dass die hier gesammelten weiblichen Fantasien ausreichen, das handwerkliche Unvermögen und die groteske Unkenntnis vom eigentlichen Thema auszugleichen, schockiert mich dennoch.
Ich will nicht ausschließen, dass sich irgendetwas in den beiden folgenden Bänden bessert (zumindest schlechter kann es wohl auch nicht werden), aber ich werde es zumindest in nächster Zukunft nicht herausfinden. Vielleicht lese ich sie auch irgendwann mal, aber bestimmt nicht allzu bald. Ich wiederhole mich, dass ich es Sadomasochisten zubillige, „Shades of Grey“ als Fetischlektüre zu genießen, aber als literarisches Werk ist es stilistisch, psychologisch wie ideologisch der unterste Bodensatz und ein furchtbarer Kollateralschaden der Alphabetisierung.
Werde ich den Film nun auch noch sehen? Vielleicht!
Auf jeden Fall gesehen hat ihn der Mitbuddelfisch Gregor, welcher uns den Valentinstag dann ebenfalls einen langen, mit Blut, Schweiß und Tränen geschriebenen Artikel darüber verschönern wird!
heino
12. Februar 2015 @ 12:27
Der Roman ist auch in SM-Kreisen extrem umstritten und ich persönlich denke, dass er mir und allen meinen Neigungsgenossen einen Bärendienst erweist, weil er ganz fürchterliche Klischees, die man schon fast vergessen wähnte, wieder in den Köpfen aller „Vanillas“ zementiert. Dass Frau James gemäß eigener Aussage keinerlei solcher Neigungen verspürt, aber zwecks „Recherche“ (hahaha) ihren eigenen Mann gezwungen haben will, diese Praktiken trotzdem auszuprobieren, spricht da Bände.
Dirk M. Jürgens
12. Februar 2015 @ 13:18
Ja, dass der Roman bei denen, von dem er zu handeln vorgibt nicht ankommt, hatte ich auch schon gehört und es verwundert mich wenig.
Ich wollte am Anfang auch nur gesagt haben, dass SMler ihn zumindest mögen dürfen (wenn auch nicht sollten), was ich allen anderen Leuten abspreche. 😉
umbra
13. Februar 2015 @ 21:01
Da mich irgendein uanSohn gebannt hat, jedenfalls du liegst mit jedem deiner Punkte richtig.
Generell: „50 Shades of Grey“, „Victoria’s Secret“, etc. sind eigentlich nur der moderne Beweis, wie sehr der Feminismus gescheitert ist. outofcontext aber egal.
anna
8. Juni 2015 @ 11:26
Du hast ganz wunderbar alle Gedanken und Empfindungen zu Papier/Computer gebracht, die mir während der Lektüre dieses abscheulichen Buches gekommen sind. Ich werde diesen Link kopieren und in die digitale Welt hinausschicken in der Hoffnung zumindest ein paar intelligenter Leute davor zu bewahren, sich diesen Roman anzutun. Für alle anderen ist es sowieso schon zu spät…DANKE!
Dirk M. Jürgens
8. Juni 2015 @ 12:52
Danke. Das höre ich gern, liebe Leidensgenossin!
Wir sollten nicht hoffen, das Übel durch Aufklärung aufhalten zu können, aber es ist unsere moralische Pflicht, es zumindest zu versuchen. 😉